Menschen ohne Gesicht
Menschen ohne Gesicht

Menschen ohne Gesicht

Es hat etwas von Situationskomik, wenn wir beim Betreten einer Bank schnell eine Maske überstreifen. Wie auch zwei Begegnungen, die wir schon das eine oder andere Mal erlebt haben dürften: Man geht achtlos an einem Maskierten vorüber und wendet sich ihm erst auf sein belustigtes „He, kennst Du mich nicht mehr!“ zu.
Oder man ertappt sich dabei, wie man jemanden länger, als unter normalen Umständen höflich wäre, fixiert und sich dabei fragt: Kenne ich den jetzt oder nicht?

Eigentlich hatte ich vor, in diesem Tagebuch die Themen der Tagespolitik nicht zu kommentieren. Aber dieses Gebot des Maskentragens, in welcher unsinnigen Situation auch immer, beeinträchtigt unsere menschliche Natur zu sehr, als das ich dazu hier nicht meine Meinung sagen möchte.

Über die eingangs beschriebenen Situationen kann man ja noch ein wenig lächeln und diese Anekdoten werden sicher noch längere Zeit im Freundeskreis für Heiterkeit sorgen.
Der Rest aber ist eher traurig und zutiefst unmenschlich.

Anstelle eines freundschaftlichen Handschlags oder, wer es will, eines Wangenkusses, finden Begrüßungen per Ellenbogen oder mit den Fußknöcheln statt. Wer nur hat sich diesen Schwachsinn einfallen lassen?
Millionen Menschen in unserem Land bewegen sich jetzt schon zwei Jahre lang als gesichtslose Wesen in der Öffentlichkeit. Sehr diszipliniert, die Maske vorschriftsmäßig über die Nase gezogen. Junge wie Alte. Und wer will, kann das Ganze noch mit Sonnenbrille und übergezogener Kapuze komplettieren.

Doch die Maske erschwert unsere körpersprachliche Kommunikation erheblich.
Es fehlen zwei Drittel der Mimik – welche sonst viele Aufschlüsse über unser Gegenüber und auch über uns selbst geben.

Die Maske gilt von allen Zwangsmaßnahmen offiziell als die mildeste. Aber Vorsicht! Je länger sie gilt, desto gefährlicher ist sie. Sie beschädigt im wörtlichen wie im übertragenen Sinn unser Bild vom Menschen.

Das Individuum ist nur am Gesicht erkennbar – doch das Individuum zählt nicht mehr. Deshalb ist das Gesicht unverzichtbarer Ausdruck von Freiheit. Nur noch mit Maske sind wir kollektivfähige Staatsbürger.

Die medizinische Maske ist die Uniform der Angst, ein Symbol der bedingungslosen Unterwerfung.
Die Normalität hat kapituliert.
Es siegt die Absurdität: Nur der mittels Maske unkenntlich gemachte Mensch wird noch als menschliches Wesen akzeptiert. Und (fast) alle spielen mit.
Die Strategie der Angst hat funktioniert. Angst vor Restriktionen bei Nichtbefolgen der Vorschriften oder Angst um die eigene Gesundheit. Der Mensch ist doch so einfach zu manipulieren.

Im Gesicht sitzen nicht bloß die wichtigsten Sinnesorgane, sondern auch die Muskeln unserer Mimik. Wir wissen sekundenschnell Gefühle und Gemütszustände auszudrücken: Zorn, Trauer, Freude, Ekel, Begehren, Zuneigung, Müdigkeit.
Nur wer sein Gesicht zeigt, kann folglich komplett kommunizieren. Die reine Sprache genügt nicht. Und wer die Lippen des andern nicht lesen kann, versteht ihn meist auch nicht gut.

Das gilt übrigens auch für das Hören von Musik. Die Vibrationen der Musik nehmen wir nicht nur mit dem Gehör, sondern mit dem ganzen Körper auf, besonders auch mit der sensiblen Gesichtshaut und dem Mund.
Die Rhythmen beeinflussen unsere Atmung. Das funktioniert hinter Masken nicht.

Vor allem zwischen kleinen Kindern und ihren Eltern, zwischen Schülern und Lehrern, im Dialog zwischen Klassenkameraden hat Mimik eine unverzichtbare Funktion. Das Gesicht lobt und tadelt, warnt, fordert auf, beruhigt, spottet, droht, und ermuntert. Die Maskenpflicht erzeugt deshalb beim Kind Ängste mit langfristigen psychischen Folgen. Nur gar keine Schule ist noch schlimmer. Aber das ist wahrlich kein Trost.

Mit Maske sind wir amputiert. Gesichtslos.
Mit Maske, ob wir wollen oder nicht, sind wir auf Distanz zum anderen Menschen.

Sagen wir es, wie es ist: Die Maske nimmt uns die menschlichen Züge. Sie ist ein inhumanes Instrument.

 

 

 

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