Es ist vielleicht 10 Jahre her. Ich saß mit Isabella in einem kleinen Bistro in Nizza und wir tranken gemeinsam einen Kaffee, unterhielten uns und beobachteten die Menschen, die auf der Straße vorbei liefen. Das Bistro war an diesem Nachmittag gut besucht. An einem der Nebentische saß ein junges Paar, wahrscheinlich aus Ostasien. Im Normalfall registriert man dies und der Blick geht weiter zu interessanteren Dingen, aber etwas hielt meinen Blick fest. Beide Gäste saßen sich gegenüber an einem Fenster, vor sich einen Kaffee, aber sie starrten, wie paralysiert, nur auf ihr Smartphone. Das ging nicht nur fünf Minuten so, aber irgendwann sahen wir nicht mehr hin. Später haben wir noch einige Male über diese Begebenheit gelacht. Damals sahen wir das noch als so eine ostasiatische Kuriosität, ähnlich wie den Wahn, überall und zu jeder Zeit zu fotografieren.
Mehr als ein Jahrzehnt ist vergangen und wir alle registrieren zunehmend, wie das Smartphone für viele Menschen die Realität, das reale Leben gekapert hat. Für diese Zeitgenossen gibt es auch bereits ein neues Wort: Smombies. Ein Mix aus Smartphone und Zombie.
Nichts, aber auch gar Nichts darf im sozialen Netzwerk verpasst werden, jeder eingehende Anruf, jedes Piepsen und Vibrieren wird umgehend angenommen und beantwortet. Die reale Umwelt ist urplötzlich nicht mehr präsent. Jede angeblich spektakuläre Situation muss fotografiert werden. Der schrecklichste Unfall in Nahaufnahme oder jede peinliche Situation, die man vor die Linse bekommt. Und dies Alles geht online. „Die Welt muss es wissen“!
Doch, die Entwicklung in diese Richtung geht immer weiter. Dieses schokoladentafelgroße Gerät immer vor die Nase zu halten ist doch eigentlich recht beschwerlich. Ich warte auf den Tag, an dem das Smartphone z.B. durch eine Brille ersetzt oder als Chip in den Körper implementiert und sich das Ganze vielleicht auf unserer Netzhaut abspielen wird.
Jetzt ging ein unheimliches Video von einer Neujahrsfeier auf den Pariser Champs-Élysées im Netz viral. Es zeigt, dass die Menschheit 2024 dabei ist, vollständig in der virtuellen Welt zu verschwinden.
Gut, ich muss eingestehen „unheimlich“ ist dieses Video bei Weitem nicht für alle. Wenn mann den Kommentaren auf YouTube folgt, feiert die Mehrheit derer, die sich dieses Video angesehen haben eigentlich den effektvoll illuminierten Jahreswechsel und sie sehen das „Unheimliche“ an dieser Situation einfach nicht.
Statt den Beginn des neuen Jahres jauchzend, eng umschlungen, gratulierend und Küsschen verteilend zu zelebrieren — wie man es von den lebensfrohen Menschen der Grande Nation eigentlich kennt, standen Tausende apathisch mit gezückten Smartphone-Kameras wie angewurzelt da und filmten das Feuerwerk am Arc de Triomphe de l’Étoile. Einige Jubelschreie sind zu hören, doch die allermeisten der teilnahmslosen Teilnehmer sind damit beschäftigt, den „Augenblick“ auf ihrer Kamera festzuhalten und sich damit selber von selbigem fernzuhalten.
Das Wort „Apokalypse“ trifft es gut, denn es bedeutet so viel wie „Offenbarung“. Und offenbart wurde hier vieles, in erster Linie das Unvermögen vieler Menschen, sich noch auf den gegenwärtigen Moment einzulassen. In dieser Szenerie waren die Menschen in erster Linie damit beschäftigt, Erinnerungen an ein Ereignis festzuhalten, das sie gar nicht wahrgenommen hatten, weil man ein Geschehen nicht gleichzeitig erleben und auf Video festhalten kann.
Wohin steuert eine Menschheit, in der ein gewichtiger Teil den zwangsneurotischen Reflex hat, alles abzufilmen und zu knipsen, ständig online präsent zu sein statt den Augenblick mit den eigenen Sinnen wahrzunehmen?
Wir sind auf dem Weg in die Matrix, in eine virtuelle Welt.
Alles läuft nach Plan.
Leider muss ich das so bestätigen. Wenn ich unterwegs bin; immernoch mit Fahrzeugüberführung, sehe ich die Menschen ob in der Bahn, an Haltestellen, selbst beim Straßeüberqueren nur noch das Handy vor den Augen. Die wissen gar nichts mehr von ihrer Umgebung. Traurig, wie es die Menschen einnimmt.
Hihi, auch ich habe dieses Kommunikationsmittel in der Hand und lese deine Gedanken zu dem Kommunikationsmittel. So ist das eben. Ich war gestern in Berlin und musste an der Ampel lachen. Neben mir stand ein Mann an besagter Ampel, starrte in sein Handy und konnte natürlich das grüne Ampelmännchen nicht sehen. Aber so ist das eben. Ich muss gestehen, dass es mich auch vereinnahmt. Ich bin süchtig nach Kochrezepten, interessanten Geschichten und Urlaubszielen. So geht’s für mich dieses Jahr 3 km entfernt von Nizza. Ich freue mich auf die Caffee‘s und die Menschen. Aber ich muss sagen, alles nur gefunden, weil ich lange in das kleine Viereck geglotzt und gesucht hab. Hoch lebe das Handy 🤣😘🤦♀️
Da hast du vollkommen recht. Das Smartphone kann das Leben angenehmer machen, solange man sich nicht davon vereinnahmen lässt und dabei seine Umwelt ausblendet. Deshalb habe ich auch die für mich beängstigende Situation zu Silvester in Paris beschrieben.