Die Liebe der Schweden zu ihren Vorgärten
Schweden lieben ihre Vorgärten.
Spaziert man durch die kleinen Städte und Dörfer und wirft einen Blick über die Gartenzäune, wird schnell klar, wie viel Zeit und Liebe hier in ästhetisch ansprechende Grünflächen investiert wird. Dieses Engagement unterscheidet sich kaum von dem in anderen Ländern unseres Kulturkreises.
Doch eines fällt besonders ins Auge: ihr ambivalentes Verhältnis zu Obstbäumen.
Die Obstbäume in schwedischen Vorgärten sind meist Halbstämme; die imposanten Hochstämme sind weitestgehend verschwunden. Die Wuchshöhe ist also optimal für Pflege und Ernte.
Optisch ist alles perfekt inszeniert: blühende Apfelbäume, ein kurzgeschorener Rasen (der allein eine eigene Geschichte wert wäre) und ein charmantes Schwedenhaus. So kennt man Schweden von der Postkarte und aus diversen Sonntagabend-TV-Schmonzetten.
Aber wenn die Apfelernte beginnt, scheint es, als wären 95 % der stolzen Haus- und Gartenbesitzer auf Langzeiturlaub. Niemand interessiert sich plötzlich mehr für die prächtigen, reifen Früchte. Die Äpfel bleiben ungenutzt am Baum hängen, während Fallobst wochenlang liegen bleibt, bevor es zu Haufen zusammengekehrt und schließlich entsorgt wird.
Natürlich kennt man solche Bilder auch aus anderen Ländern, doch in Schweden wirkt diese Gleichgültigkeit besonders auffällig – nicht zuletzt wegen der klimatischen Bedingungen. Man sollte annehmen, dass in Skandinavien heimische Früchte etwas Wertvolles darstellen.
Verschwendung in Zahlen
Jeden Herbst verrotten Tausende Tonnen guter Äpfel in schwedischen Gärten. Gleichzeitig kaufen viele Menschen importierte Äpfel, Apfelmus mit bunten Etiketten oder gezuckerten Apfelsaft in der Plastikflasche. Laut offiziellen Statistiken werden nur 5 % der Äpfel aus privaten Gärten tatsächlich genutzt – eine erschreckende und traurige Bilanz.
Noch vor etwa zehn Jahren war dieser Anteil sogar noch geringer. Schätzungen zufolge wurden damals nur 2–3 % der Äpfel genutzt. Die Problematik von überschüssigem Obst in privaten Gärten war kaum ein Thema, und es fehlte an Strukturen, um die Früchte sinnvoll zu verwerten oder weiterzugeben.
Dass diese Gleichgültigkeit nichts mit schwedischer Tradition zu tun hat, zeigt ein Aquarell meines Lieblingsmalers.
Carl Larsson malte das Aquarell „Apfelernte“ (Äppelskörd) im Jahr 1904. Es gehört zu seinen bekannten Werken, die das idyllische Familienleben und die ländliche schwedische Lebensweise seiner Zeit darstellen. Das Bild zeigt eine lebhafte Szene, in der Menschen Äpfel ernten – ein Sinnbild für die Wertschätzung der Natur und der traditionellen Lebensweise.
Irgendwann in den letzten Jahrzehnten scheinen viele Schweden jedoch ihre naturverbundenen Traditionen über Bord geworfen und sich einem konsumorientierten Lebensstil unterworfen zu haben.
Ein Wandel in Sicht?
In den letzten Jahren hat sich das Bewusstsein für Lebensmittelverschwendung und nachhaltige Nutzung jedoch leicht verbessert. Initiativen wie Obst-Tauschbörsen und „Foodsharing“-Projekte gewinnen an Popularität und haben dazu beigetragen, den Anteil genutzter Äpfel geringfügig zu steigern.
Zur Apfelerntezeit berichten die Medien jedes Jahr von Elchen und Wildschweinen, die sich an den ungenutzten Früchten in Vorgärten gütlich tun. Diese Artikel enden oft mit gut gemeinten Ratschlägen, das Fallobst doch bitte nicht in die Mülltonne zu werfen. Als Lösung wird der Wertstoffhof empfohlen – Adresse inklusive. Doch ein entscheidender Aspekt fehlt meist: der eigentliche Wert der Äpfel und die traditionellen Möglichkeiten ihrer Verarbeitung.
Ein Apfelbaum weint
In der nordischen Kultur gab es eine alte Redensart, die sinngemäß lautete:
„Ein ungepflückter Apfelbaum weint.“
Diese Aussage symbolisiert eine tief verwurzelte Wertschätzung für die Natur. Das Verfaulenlassen von Früchten wird als Verschwendung der Gaben der Natur betrachtet. In der Folklore galt dies sogar als Respektlosigkeit gegenüber Naturgeistern und konnte Unglück bringen.
In einigen Regionen glaubte man, dass verfaulende Früchte böse Geister oder Missgeschick anziehen könnten – ein Sinnbild für Nachlässigkeit und Undankbarkeit.
Der verlassene Apfelbaum auf der Weide
an dem nur noch gelbe Äpfel hängen,
keine Blätter mehr
erinnert mich an jemanden,
der vergessen wurde,
bis die Vögel kommen,
um ihn von seiner Last zu befreien.
Sabine Schmitt