Jugend im Schneckentempo
Jugend im Schneckentempo

Jugend im Schneckentempo

Jedem, der mit dem PKW von Deutschland nach Schweden unterwegs ist, wird ein Unterschied besonders auffallen: Schweden ist weit und leer.
Es ist besonders die Verkehrsdichte, die angenehm zu spüren ist. Einmal abgesehen von den wenigen Ballungszentren, geht es selbst auf den Autobahnen mit  ihren Höchstgeschwindigkeiten von 110km/h und in seltenen Fällen 120km/h entspannt und gemütlich zu. Die Landstraßen lassen in der Regel 80km/h zu und in den Ortschaften sind, zumindest in unserer Region, 40km/h erlaubt. Zugegeben – Verkehrsteilnehmer auf der Flucht gibt es auch hier, dies ist aber äußerst selten.
Um in die nächste Stadt zu kommen, fahren wir ca. 15km über eine gut ausgebaute Landstraße (vergleichbar mit unseren Bundesstraßen). Diese Route verläuft entlang des Vättern-Sees, keine Berge, keine Ampeln – größtenteils durch weiträumige Waldgebiete – immer geradeaus. Auf der Fahrt dahin, begegnen mir in der Regel 4-5 Fahrzeuge im Gegenverkehr. Es ist kein profanes Fahren – es ist fast ein Schweben mit Autopilot. Sicherlich ist das jetzt mein subjektives Empfinden und es werden sich genug andere Zeitgenossen finden, denen das viel zu öde und langweilig ist.

Aber es gibt noch eine typisch schwedische Besonderheit, welche dieses himmlische Fahrgefühl von Zeit zu Zeit ausbremst. Und das sind Begegnungen mit Fahrzeugen, welche max. 30km/h fahren und an dessen Heckseite ein großes rotes Dreieck als Warnschild prangt. Das sind die sogenannten A-Traktoren.

Wenn der Familien-Volvo in die Jahre gekommen ist und eine Neuanschaffung ansteht, heisst das in Schweden noch lange nicht, dass dem alten Auto der Weg zum Gebrauchtwagenhändler oder auf den Schrottplatz blüht. Im Gegenteil: Alte Autos werden weitergegeben an die junge Generation – auch wenn diese noch gar nicht volljährig ist und noch kein Auto lenken darf.

Aus einem alten Wagen kann mit ein paar technischen Eingriffen ein sogenannter A-Traktor gemacht werden: Die Höchstgeschwindigkeit wird mechanisch oder elektronisch bei 30 Kilometern pro Stunde abgeriegelt, und die Nutzung der Hinterbank und des Kofferraums muss durch Änderungen an der Kabine oder im Interieur unmöglich gemacht werden. Erlaubt ist nur noch ein Beifahrersitz vorne. Nach dem Umbau muss das Fahrzeug durch eine autorisierte Kontrollstelle abgenommen und durch eine spezielle Tafel am Heck als A-Traktor kenntlich gemacht werden. Und schon darf man mit einem Moped-Ausweis ab 15 Jahre ans Steuer.

Das ist ähnlich wie in Deutschland. Aber dort liegt die Höchstgeschwindigkeit bei 45km/h und die Wahl des Fahrzeuges beschränkt sich auf die  sgg. Leichtkraftfahrzeuge, also Schuhkartons auf Rädern. Und hier ist auch der große Unterschied zum A-Traktor. Es gibt keinerlei Beschränkung auf bestimmte Fahrzeuge – Hauptsache die 30km/h werden eingehalten.

Unlängst wurden im Zuge der technischen Entwicklung die Möglichkeiten für den Umbau angepasst und damit teilweise gelockert. Das löste einen regelrechten Boom aus: Verzeichnete die schwedische Verkehrsbehörde 2020 noch knapp 31 000 registrierte A-Traktoren, sind es jetzt bereits 51 000. Während die nationale Ikone Volvo 57 Prozent des Markts beherrscht, führen auch hoch exklusive Modelle ein zweites Leben als A-Traktor. So sind im schwedischen Fahrzeug-Register auch 209 Land Rover, 103 Porsches und, man will es nicht glauben, sogar vier Hummer verzeichnet.

 

 

Beim Überholen eines A-Traktors erhascht man stets einen Blick in ein fahrendes Teenagerzimmer: Alberne Dekoration, viel zu viele Wunderbäume, laute Musik und individuelle Beflaggung gehören zum Slow Style heute ebenso dazu wie ein eigensinniger Stolz der jugendlichen Chauffeure. Den braucht man wohl, wenn man als ewiges Hindernis durch die Landschaft Schwedens rollt. Und vermutlich ist es die Inszenierung als auffälliger Bremsklotz, die pubertären Gemütern besondere Freude macht.

Man sollte sich das vorstellen: ein Porsche mit 30km/h auf einer Landstraße. Wo gibt es das? In Schweden.

 

 

 

 

 

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