Der Schmetterlingstraum
Der Schmetterlingstraum

Der Schmetterlingstraum

 

„Ich, Zhuāng Zhōu, träumte einst, dass ich ein Schmetterling sei,
ein hin und her flatternder Schmetterling, der sich wohl und glücklich fühlte
und nichts wusste von Zhuāng Zhōu.

Plötzlich wachte ich auf:
da war ich wieder wirklich und wahrhaftig Zhuāng Zhōu.

Nun weiß ich nicht, ob ich geträumt habe, dass ich ein Schmetterling sei,
oder ob der Schmetterling geträumt hat, dass er Zhuāng Zhōu sei,
obwohl doch zwischen Zhuāng Zhōu und dem Schmetterling sicher ein Unterschied ist.

So ist es mit der Wandlung der Dinge.“

 

Zhuangzi träumt von einem Schmetterling, Tusche auf Seide, Lu Zhi (1496–1576)

Der Verfasser dieses Textes war ein chinesischer Philosoph und Dichter.
Zhuāng Zhōu, sein persönlicher Name, lebte von 365 – 290 v. Chr., also vor über 2000 Jahren.
Der “Schmetterlingstraum” ist ein kleiner Teil seines Gesamtwerkes. Er gilt aber als eine der literarisch schönsten, interessantesten und schwierigsten Texte der chinesischen Geistesgeschichte.

Dieses, in Ostasien sehr bekannte Gleichnis des Zhuāng Zhōu hat es in sich.
Wir werden mit ihm nicht so schnell fertig.

Immer bleibt die Frage: Wer ist denn nun wer? Und wer ist wirklich?

Wenn im Schmetterlingstraum angedeutet wird, daß wir letztlich nicht wissen, ob Zhuāng Zhōu vielleicht doch ein Schmetterling ist, dann ist das nicht nur einfach eine groteske, phantastische und unrealistische Aussage. Im Gegenteil: Es entsteht nebenbei die Frage, wann überhaupt eine Aussage die Wirklichkeit adäquat beschreiben kann.
Diese Frage durchzieht sein Werk in tausend Variationen und stellt dem Leser die Frage: Weißt du, wer du wirklich bist? Und hilft dir da dein Wissen? Kann es nicht sein, daß das, was dir als wirklich erscheint, geträumt ist und das, wovon du träumst, wirklich ist?

An dieser Geschichte verunsichert zutiefst, daß wir nicht entscheiden können, wer der Träumende und wer der Erwachende ist. Für Zhuāng Zhōu folgt auf jedes Erwachen ein neuer Traum und auf jeden Traum ein neues Erwachen.

Als das Wirkliche bezeichnen wir zumeist das, was uns im Tagesbewußtsein begegnet, was wir kontrollieren, bemessen, planen und in unsere ganz private „Bewältigungsstrategien“ einordnen können. Daher auch unsere große Angst vor Schicksalsschlägen, Krankheiten, Verlusten und Krisen, die wir mit diesen Strategien nicht mehr bewältigen können.

Doch das Leben hält nicht still, immer wieder erfahren wir unsere Ohnmacht, und immer wieder stellt sich uns die Frage, ob wir trotz allen Wandels darauf vertrauen können, daß unser Schicksal in ein größeres Leben eingebettet ist, dem wir rückhaltlos vertrauen können.
Erst ein solches Vertrauen ermöglicht es, „freudig den eigenen Regungen zu folgen“. Es ermöglicht eine Freiheit, die nicht durch Kontrolle und künstliche Definitionen der Realität behindert wird.

Gleichzeitig steckt in dem Gleichnis auch eine Kritik an der übermächtigen Zweckorientierung unseres modernen Lebens, das sich noch im Überfluss weigert, die Besinnung des Denkens, die Freiheit des Spielens zu gestatten.

 

Die eigenen Deutungen und Reflexionen zu diesem Gleichnis könnten viele Seiten füllen. Mich persönlich fasziniert der Schmetterlingstraum immer wieder, nun schon über Jahrzehnte hinweg.
Mit diesen Text möchte ich Euch zu einer eigenen Gedankenreise einladen.
Nehmt Euch die Zeit – es lohnt sich.


Sehr zu empfehlen ist auch die Vertonung dieses Gleichnisses durch die Duisburger Krautrock-Band “Bröselmaschine” aus dem Jahr 1971.

Bröselmaschine – Schmetterling

 

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