Alles ist mit Allem verflochten. Immer, überall und zu jeder Zeit.
Die Geschichte in Kurzform:
Ein mehr oder weniger spontaner Ausstellungsbesuch eröffnet uns die kleine Welt eines traditionellen Kunsthandwerkes. Diese wird Inspiration, sich mit einer wegweisenden schwedischen Denkerin zu beschäftigen, welche vor über 100 Jahren nicht weit von unserem Wohnort ihre private Oase mitten in der Landschaft am Vättern-See geschaffen hatte. In diesem Haus findet ein junges Mädchen während eines zufälligen Besuchs einen Spruch auf einem Türrahmen, der ein Leitsatz im ganzen Leben der später weltbekannten Schriftstellerin werden soll. Ihre Bücher haben das Leben unserer Enkelkinder mit geprägt.
Während eines Besuchs in der Stadt Skövde besichtigten wir im Slöjdens Hus (dt.: Handwerkerhaus) eine kleine Ausstellung. Das Ensemble alter Holzhäuser in der typischen Schwedenfarbe inmitten des modernen Stadtzentrums, hat sich der Pflege der alten traditionellen Kunsthandwerkstechniken mit Vorträgen, Workshops und Ausstellungen verschrieben. Der Titel der aktuellen Ausstellung: Mysteribroderi (dt.: geheimnisvolle Stickerei) machte uns neugierig. Und wir haben den Ausstellungsbesuch nicht bereut.
Ingela Bertilson nennt sich „freie Stickerin“. Sie ist auch die ausstellende Künstlerin und sie stellt die Ausstellung wie folgt vor:
„Meine gute Freundin Barbro und ich haben uns viele Jahre lang Briefe gestickt (!), von denen einige in der Ausstellung zu sehen sind.
Hier finden Sie auch Mysteribroderi (dt.:Geheimnis-Stickereien) und einen großen Vorhang, meinen Meditationsvorhang und knapp über 250 kleine gestickte Bilder 10×10 cm erzählen von meinem Leben und was man so alles mit kunstvollen Stickereien gestalten kann: Fahrpläne, Speisekarten für ein Festtagsmenü und nicht zuletzt 50 Bilder ca. 30×30 cm, auf denen ich das Leben und Denken von Ellen Key dokumentieren möchte „.
Eine beeindruckende und überraschende Ausstellung. Ich hätte nie gedacht, dass sich das Leben auch in kunst- und phantasievollen Stickereien dokumentieren lässt.
„Wenn Du ein Fenster hast, wird das Leben nie langweilig.“ Wie der Titel der oben abgebildeten Geheimnisstickerei, wirkte auch diese Ausstellung auf uns und öffnete den Blick auf das Leben und Wirken zweier wichtiger Persönlichkeiten.
Ellen Key (1849 – 1926), deren Lebensstationen in den Stickereien dargestellt wurden, war eine, in ihrer Zeit weltbekannte Autorin, Pädagogin, Friedensaktivistin, Feministin und Visionärin.
Schon früh wurde sie zur Meinungsbildnerin, etwa in Sachen Meinungs- und Pressefreiheit, Frauenrechte, Bildungsfragen und Soziales. In den 1890er Jahren war sie mitten in der nationalen Debatte und wurde für ihre Ansichten sowohl gelobt als auch kritisiert.
1900 gelang ihr der internationale Durchbruch mit ihrem berühmtesten Buch The Children’s Century, das bald in 13 Sprachen übersetzt wurde.
Für Ellen war es wichtig, Harmonie und eine schöne Umgebung zu haben. Deshalb baute sie 1910 das Haus Strand, wunderschön gelegen am Ufer des Vätternsees und am Fuße des Ombergs in Östergötland, direkt gegenüber unseres Hauses am gegenüberliegenden Ufer des Vätternsees. Ellen Keys Strand ist eine Mischung aus vielen Inspirationsquellen: Beeinflusst von Goethes Farblehre, dem Haus des Künstlerhehepaares Karin und Carl Larssons in Sundborn, dem Jugendstil, Italien und dem traditionellen schwedischen Herrenhaus.
Das Haus steht heute noch im gleichen Glanz wie zu ihrer Zeit, lädt zu Besichtigungen ein und nimmt Gelehrte auf, die dort leben und studieren dürfen.
Und jetzt kommt die dritte Person in meine kleine Geschichte – Astrid Lindgren.
Als 17jährige war sie mit einer Gruppe Mädchen unterwegs, zelten, wandern, und als sich ein Mädchen auf dem Weg verletzte, gingen sie zum nächsten Haus – es war zufällig das der Autorin Ellen Key. Astrid entdeckte über einem Türrahmen folgende Inschrift
„Denna dagen ett liv“. (dt.: Dieser Tag, ein Leben)²
Dieser Satz hat die junge Astrid Lindgren so bewegt, dass sie ihn viele Jahr später in ihrem Buch „Ferien auf Saltkrokan“ dem Vater Melcher in den Mund gelegt hat, als sein Sohn beklagt, dass die Ferien zu schnell vorbeigehen.
„‘Dieser Tag ein Leben‘, murmelte Melcher. ‚Ja, aber das ist ja ganz ausgezeichnet.‘ ‚Was ist denn da so Ausgezeichnetes dran?‘ fragte Johann. ‚Das steht hier im Buch‘, sagte Melcher begeistert. Hier steht ‚Dieser Tag ein Leben‘ – das bedeutet, man soll gerade an diesem Tag so leben, als hätte man nur diesen einen. Man soll auf jeden einzigen Augenblick achtgeben und spüren, daß man wirklich lebt.‘“
Für Astrid Lindgren war dies ein zentraler Satz. Es ist das natürliche Auf und Ab, dass das Leben so einzigartig macht. Denn er steht auch sinnbildlich für die Lebensweise der Schriftstellerin, die trotz ständiger Hoch und Tiefs das Leben mit vollem Bewusstsein gelebt hat.
² – Der Ausspruch stammt vom schwedischen Philosophen und Dichters Tomas Thorild